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Der gute Hirte

Foto: pixabay.com

Der 4. Sonntag der Osterzeit wird traditionell als der Sonntag des Guten Hirten begangen und als Gebetstag für geistliche Berufe.

Im Evangelium und in den Gebeten dieses Sonntags kommt uns das Bild von Jesus, dem guten Hirten, vertraut und Vertrauen erweckend entgegen. Die bildliche Darstellung, auf der Jesus ein Schaf auf seinen Schultern trägt, ist eine der ältesten Christusdarstellungen überhaupt. Auch der Psalm 23 klingt an: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Das Bild vom guten Hirten berührt die menschliche Bedürftigkeit. Denn der Wunsch, verlässlich getragen und behütet zu sein, ist eine tiefe Sehnsucht im Menschen, die in der Realität aber oft enttäuscht wird.

Das Hirtenmotiv ist aus dem Alten Testament bekannt: Gott ist der gute Hirte seines Volkes Israel. Er übergibt die Aufgaben eines Hirten auch an Menschen, die dann vor ihm Verantwortung übernehmen. Das Volk Israel war anfangs ein Nomadenvolk, es bestand aus umherziehenden Sippen und Familienverbänden. Deshalb sind ihm Hirten sehr vertraut. Die jüdische Tradition kennt bedeutende Hirten, die die Geschicke ihres Volkes maßgeblich mitbestimmt haben: Abraham nennen wir den Urvater des Glaubens. Er war Hirte in Mesopotamien und besaß viele Herden. Er ließ sich von Gott ansprechen und machte sich mit einem großen Gottvertrauen auf den Weg. „Geh in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen. Ein Segen sollst du sein.“ Mose war gerade im Land Midian (nordöstlich des Roten Meeres) mit den Schafen seines Schwiegervaters Jitro unterwegs, als Gott sich ihm im brennenden Dornbusch offenbarte: „Ich bin Jahwe, der Ich-bin-da, der Gott deiner Väter. Geh nach Ägypten und entreiße mein Volk Israel der Hand des Pharao und führe es in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.“ David, der jüngste Sohn des Betlehemiters Isai, war gerade mit den Herden seines Vaters unterwegs, als er zum König ausgerufen wurde. Seine Brüder holten ihn herbei und er wurde vom Propheten Samuel zum König über Israel gesalbt. Allen drei Männern war gemeinsam, dass sie Hirten waren und sich senden ließen. So konnte Gott sie auch im übertragenen Sinn zu Hirten machen. Im Neuen Testament wird Jesus zum Idealbild des guten Hirten, der als Vermittler zwischen Gott und seinem Volk steht.

In der heutigen Zeit steht die Bilderwelt des Hirten oft ein wenig sperrig in unserer auf Selbständigkeit und Individualität bauenden Gesellschaft. Der moderne Mensch will kein Herdenvieh sein und auch nicht fremdbestimmt. Die Bildrede vom guten Hirten im Johannesevangelium spricht von zweierlei Hirten. Sie spricht davon, wie unterschiedlich Menschen Verantwortung wahrnehmen können, wo ihnen Aufgaben der Führung zukommen. Führung bleibt wichtig, wo Menschen zusammenleben und gemeinsame Ziele verfolgen. Wir brauchen auch heute Wegweiser, Menschen, die durch ihr Vorbild überzeugen. Aber wir sind frei, uns umzusehen, wo wir Menschen finden, denen wir unser Vertrauen schenken wollen.

Ein Schaf in der großen Herde des einen guten Hirten zu sein, heißt für mich: Jesus nachgehen; von ihm geführt werden; in seiner Nähe sein; von ihm behütet werden; daran glauben, dass er mich kennt und sich für mich einsetzt. Wer zur Herde des guten Hirten gehört, muss auch kein „dummes Schaf“ sein, er darf mit Herz und Verstand dazugehören.

Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der „Schäfchen“ abnimmt und auch die Hirten immer weniger werden. In der Herde, die Jesus nachfolgt, müsste heutzutage ein Gedanke die Runde machen: Wir alle können Hirten sein nach dem Vorbild des einen guten Hirten. Sein Leben für die Schafe geben kann heißen, sich als Person ganz einzubringen, mit der eigenen Existenz für seine Überzeugung einzustehen. Jeder Mensch ist ein Mitmensch, der am Leben des anderen Anteil nehmen kann, und wenn nötig, ihn begleiten und ihm beistehen kann. Füreinander Hirte sein, könnte heißen: sich in andere einfühlen, füreinander Zeit haben, einander zuhören, geduldig miteinander umgehen, einen aufmunternden Blick haben, eine hilfsbereite Hand reichen, ein tröstendes Wort sagen, die Last des anderen mittragen - und so füreinander zur Kraftquelle werden. Füreinander Hirte sein – das ist das Leitbild einer geschwisterlichen Kirche. Wir brauchen Gemeinden, in denen Menschen sich aufgehoben fühlen, wo sie vertrauen können und Hilfe zum Leben finden.

Der Gebetstag für geistliche Berufe will uns einladen, darüber nachzudenken, ob wir bereit sind, uns rufen zu lassen von dem einen guten Hirten, der gesagt hat: Geht mit mir zu den Menschen und vergesst nicht: Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt (Matthäusevangelium 28,20). Jesus will nicht die Welt beherrschen, er will, dass wir sie nach seinem Vorbild gestalten.

Pastoralreferentin Regina Mettlach