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Der mich trug

Der mich trug auf Adlers Flügeln, der mich hat geworfen in die Weite ...

Foto: Anton Repponen

Der mich trug auf Adlers Flügeln,
der mich hat geworfen in die Weite
und als ich kreischend fiel, mich aufgefangen mit den Schwingen
und wieder hoch mich warf,
bis dass ich fliegen konnte aus eigner Kraft.

Huub Oosterhuis

Majestätisch liegt er in der Luft, edel und anmutig zieht er seine Kreise über dem todbringenden Abgrund, vor dem er keine Angst haben muss. Seine Flügel tragen ihn über das Tal hinweg, rechts und links ragen kaum enden wollende Steinwände in die Höhe.

„Wirst auch du mich tragen?“, frage ich. „Du, der du die Kraft eines Adlers hast. Du, der du mich tragen könntest über Berg und Tal hinweg. Beschützt ein Adler nicht seine Jungen?“

Doch was wäre dann? Völlige Sicherheit, ein vorbestimmter Weg im Schatten des Größeren. Unfrei. Alternativlos.

Das lässt du nicht zu. Du stößt mich weg, du lässt mich fallen… Du hörst mein Schreien und fängst mich wieder auf. Nochmal und nochmal wirfst du mich. Beharrlich nimmst du mein Fallen in Kauf. Damit ich fliegen lerne.

Dein Vertrauen in mich ist unendlich – gegen meine Zweifel. Du vertraust mir mein Leben an. Du bist dir sicher, dass ich dem letztlich gewachsen bin, auch wenn ich an meine Grenzen komme. Und doch lässt du mich nicht allein. Du bist mein doppelter Boden, wenn ich abstürze, mein Fallschirm, der Vater, der sein Kind auffängt, wenn es vom Klettergerüst fällt, der Airbag beim Autounfall, die Rettungsboje im Meer.

Nun liegt es an mir, dir zu vertrauen, die Herausforderungen des Lebens anzunehmen. Ich kann nur lernen, wenn ich Fehler mache. Dann werde ich erkennen, dass du mich dem aussetzt, damit ich wachse, damit ich dein Mensch werden kann, ganzheitlich.

Und am Ende…

Am Ende werde ich frei sein.

Ich werde fliegen können.

Sonja Dussel, Pastoralpraktikantin