Zum Inhalt springen

Ist Gott unsere Mitte?

In der Fastenzeit sollen wir uns fragen, aus welchen Quellen wir leben.

Foto: Danillo Forcellini

Mit „der Versuchung“ Jesu beginnt sein öffentliches Wirken. Wie in einem Brennspiegel fasst diese Geschichte zusammen, was im Leben Jesu in immer neuen Formen geschah. Während seines ganzen Lebens steht er in einer Auseinandersetzung mit der Macht des Bösen. Sie gleicht jenen Versuchungen, denen das Volk Israel in seiner Geschichte ausgesetzt war. Deshalb sind auch die Antworten, die Jesus dem Bösen entgegensetzt, Zitate aus dem ersten Testament (Alten Testament). Jesus bewährt sich, dass er standhält in der Versuchung, die sein Volk auf seinem langen Weg begleitet hat.

Das Evangelium beginnt: „Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden“. Wüste, das ist nicht nur ein geographischer Ort. Das Wort Wüste kann man auch übersetzen mit „Öde“ oder „Ödnis“. Die Wüste ist ein Ort der Bewährung, wie eine Stunde der Wahrheit. Mit ihrer trockenen Hitze schält sie den Lebewesen alles Überflüssige vom Leib, bis nur das bleibt, was zum Leben unerlässlich ist. Sie ist, sagen die Araber, der Garten, in dem Gott spazieren geht; also ein Raum letzter Fragen. Dorthin strömen die Menschen, um Johannes, den Täufer, zu hören, und dorthin führt jetzt der Geist auch Jesus.

Was aber heißt „Versuchung“? Zutiefst wird der Mensch ergriffen von einem fundamentalen Zweifel: Das was bisher gut war, erscheint als öde, und das, was bisher böse war, erscheint als Glück verheißend. In dieser Konfrontation soll Jesus zu seiner Identität als Sohn Gottes finden. Wir können auch formulieren: Es ist für Jesus der notwendige Prozess zu Selbstwerdung.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie der Teufel wohl ausgesehen hat und wie das ganze Geschehen der Versuchung so abgelaufen sein mag. Der Text will keine spektakuläre, spannende Episode erzählen, sondern will zusammenfassend zeigen, worin die Versuchung bestand und wie Jesus ihr begegnet ist.

Die Versuchungsgeschichten reichen über das Leben Jesu hinaus, sie reichen zurück in die Geschichte Israels; das zeigen die Schriftworte des Ersten (Alten) Testaments. So wurde beispielsweise das Volk Israel in der Wüste versucht – und erlag dem Trieb des Hungers.

In dreifacher Weise, das heißt in drei entscheidenden Lebensbereichen, beschreibt das Evangelium das Problemfeld „Versuchung“ im Blick auf seine Leser und somit letztlich auch auf uns.

1. Jesus in der Wüste: Er hatte vierzig Tage gehungert. Es ist die Versuchung, in diesem Menschen nur noch die arme Kreatur zu sehen, die mit einem Stück Brot – vom Bäcker – überleben kann. Genügend zu essen zu haben, ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Unser Körper verlangt sein Recht und geht zugrunde, wenn es ihm verweigert wird. Aber der Mensch ist mehr, er lebt nicht nur von dieser Erde und vom Brot, er lebt von der Zuwendung und Liebe durch Gott.

2. Jesus auf dem Tempel: Der Teufel sagt zu ihm: „Wenn du der Sohn Gottes bist, stürze dich hinab von den Zinnen des Tempels“. Der Sturz wäre tödlich. Wenn Jesus im Auftrag Gottes predigen will, dann soll er beweisen, dass Gott hinter ihm steht. Jesus lehnt das ab, denn Gott lässt sich nicht als Beweismittel missbrauchen. Es ist wie bei Menschen, die sich lieben, sie können keine Beweise voneinander fordern, sie vertrauen einander. Macht – über andere – zu haben, ist eine der größten und gefährlichsten Versuchungen, denn das Verlangen zu herrschen führt dazu, dass andere Menschen gedemütigt und unterdrückt werden.

3. Jesus geht in die Knie: Vor wem? Die Versuchung lautet: Für einen Kniefall die ganze Welt! Jesus lehnt dies entschieden ab. Er unterwirft sich nicht den Gesetzen der Welt; er setzt sein ganzes Vertrauen auf Gott und dient ihm. „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Johannes-Evangelium 4,34). Dahinter steht die uralte Frage: „Ist Gott in unserer Mitte?“ Vertrauen wir darauf oder wollen wir Beweise?

Vielleicht schaffen wir es, in der Vorbereitung auf Ostern, uns etwas „Wüstenzeit“ zu nehmen. Dabei könnten wir nachdenken, von welchen geistigen Quellen wir leben, wie wir Gottes Liebe zu uns annehmen und vor wem wir in die Knie gehen.

Pfarrer Bernhard Linvers