Zum Inhalt springen

Fasten

Foto: Aleksandr Belugin

Unser ganzes Leben ist durchzogen von Rhythmen: Ein- und Ausatmen, Schlafen und Wachen, Essen und Ausscheiden. Jeder Pulsschlag und jeder Herzschlag ist ein Rhythmus – Spannung und Entspannung. In einem Bereich haben wir heute weithin die Balance und den Rhythmus verloren: im Aufnehmen, im Zu-uns-Nehmen. Wir haben uns daran gewöhnt, immer mehr Neues in uns hineinzustopfen: Essen, Nachrichten, Informationen, Eindrücke, Anregungen, Impulse ... . Dabei kommt das Loslassen oft zu kurz, denn ein ausgeglichenes Leben braucht das Wiederloslassen ebenso wie das Aufnehmen. Hier schafft das Angebot des Kirchenjahres ein heilsames Gleichgewicht. Die Zeit von Aschermittwoch bis Ostern wird als eine Fastenzeit begangen: um loszulassen, um wieder in den Rhythmus einzuschwingen von Ein und Aus, von Viel und Wenig, von Fülle und Leere.
Als ich Kind war, stand das Marmeladenglas in der Speisekammer auf dem Fensterbrett und nahm alle Bonbons in sich auf. Spielerisch haben wir damals gelernt loszulassen und zu verzichten. Als Erwachsener erkennt man dann, dass Einüben von Verzicht eine heilsame und notwendige Reifeübung ist.

Heilsam ist das Fasten, weil es einer gründlichen Entschlackung gleichkommt. Zum einen für den Körper: Aufgrund des oftmals hohen Stressniveaus in unserem Alltag werden viele Stoffwechselprodukte in den Blutgefäßen, Muskelenden, Sehnen und Gelenken abgelagert; was auf Dauer zu körperlichen Beeinträchtigungen führt.
Zum anderen ist Fasten eine innere Übung und heilsam für den Geist. Wir lernen, das so genannte Wichtige in unserem Leben loszulassen und die Akzente zu verschieben, wenigstens für einige Zeit. Wir werden empfänglicher für die Ruhe, auch langsamer - eine selten anzutreffende Haltung in unserer schnelllebigen Zeit, wo alles immer zack-zack gehen muss: Denken, Reagieren, Entscheiden, und wo die Kunst der Langsamkeit kaum noch gekannt wird.
Die Entdeckung der Langsamkeit ist wichtig, wenn man sich nicht vom raschen, flüchtigen Eindruck beherrschen lassen will, sondern innehalten will um nachzudenken, nachzufragen und vielleicht auch, um einmal von vorne anzufangen.

Den negativen Auswirkungen der Reizüberflutung entgehen wir nur, wenn wir uns auf Wesentliches konzentrieren, wenn wir anderes loslassen und immer nur eine Sache auf einmal tun. Reduzierung, Reduktion kann dann im lateinischen Wortsinn eine Rückführung werden, eine Hinführung zur göttlichen Quelle, die in uns sprudelt. „Ich habe alles in mir, was ich brauche“, ist eine Fastenerfahrung. Sie eröffnet uns einen neuen Horizont, den der Dichter Angelus Silesius (gest. 1677) so beschrieben hat: „Halt ein, wo rennst du hin. Der Himmel ist in dir! Suchst du ihn anderswo, (ver)fehlst du ihn für und für.“

Pastoralreferentin Regina Mettlach