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Weihnachten – Hoffnung und Erwartung

Quelle: Wikimedia - Kandi - cc-by-sa-3.0

Vor einigen Jahren stand bei einer Familienfeier in meiner Heimatgemeinde auf dem Hotelparkplatz ein PKW aus Speyer mit dem Kennzeichen SP-ES… Auf die Frage, ob das Kennzeichen bewusst gewählt wurde, antwortete der Besitzer: „Ich bin evangelischer Pfarrer und seit ich in Speyer wohne, habe ich das Kennzeichen SP-ES.“ Warum erwähne ich dies? SPES (lat.) bedeutet: Hoffnung, Erwartung. Sie ist seit jeher eine der drei göttlichen Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe), die zusammen mit den vier Kardinaltugenden (Klugheit, Tapferkeit, Maßhalten, Gerechtigkeit) seit dem Mittelalter oft als Weisung an öffentlichen und kirchlichen Gebäuden bildhaft dargestellt sind.

Worauf richtet sich unsere Erwartung? Worauf hoffen wir?
Seit 70 Jahren erleben wir in unserem Land Frieden und Freiheit. Wir reisen heute in einem geeinten Europa ungehindert von einem Land ins andere. Die meisten Menschen haben Arbeit und Geld wie nie zuvor, es geht ihnen materiell gut wie nie zuvor. Und doch ist die Zufriedenheit unter den Menschen in Deutschland nicht gewachsen, obwohl sich der Wohlstand in unserem Land seit 50 Jahren mehr als verdreifacht hat. Erstaunlich ist, dass viele Menschen zunehmend unzufrieden sind, etliche sich zu Wut und Hass hinreißen lassen und Angst verbreiten. Was erwarten sie? Worauf hoffen sie?

Dieser Tage fand ein markantes Jubiläum statt: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feierte ihren 70. Geburtstag. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Diese Erklärung ist damals von einer überwältigenden Mehrheit der Länder weltweit angenommen worden. Welch hoffnungsvolle Entwicklung! Die Idee von der Würde des Menschen hat viele Wurzeln, nicht nur jüdisch-christliche. Der Begriff „Ebenbild Gottes“ (Gen 1, 26) findet sich auch beim römischen Dichter Ovid in seinen Metamorphosen. Der Passus über die Entstehung des Menschen beginnt fulminant:

„Sánctius hís animál mentísque capácius áltae déerat adhúc et quód dominári in cétera pósset. Nátus homó est… Fínxit in éffigiém moderántum cúncta deórum.“ [Es fehlte aber noch ein Wesen, das heiliger als diese (die Tiere!) und hohen Sinnes fähiger sei und über die übrigen herrschen könne. Der Mensch ist entstanden (Met. I, 76-78)… Er formte ihn nach dem Bild der alles lenkenden Götter. (Met. I, 83)]

Schon 450 Jahre zuvor hört man in einem einzigartigen Text von Sophokles, der über die kulturellen Vorzüge (und damit die Würde) des Menschen spricht: „Großartig ist vieles. Doch nichts ist großartiger als der Mensch“ (Antigone, zweiter Akt, Chorlied). Auch die im antiken Griechenland und bei den Römern verbreitete philosophische Lehre der Stoa propagierte den Gedanken der natürlichen Gleichheit und göttlichen Würde in Verbindung mit einem kosmischen Weltbürgertum. Und der Konfuzianismus vertrat in der sogenannten Achsenzeit (Karl Jaspers) die Auffassung vom Menschen als Individuum und die Anerkennung universaler Gerechtigkeitsprinzipien. „Eine vergleichbare Argumentationskultur, die einen historischen Anknüpfungspunkt für die Vereinbarkeit des westlichen Menschenrechtsethos mit dem islamischen Denken bietet, brachte der mittelalterliche Islam in seiner Blütezeit (Spanien!) hervor“ (E. Schockenhoff).

Angesichts dieser ideengeschichtlichen Entwicklungslinien gilt: „Die Menschenrechte sind nicht westlich und nicht christlich. Sie sind jedem auf der Erde gegeben, allein, weil er geboren wurde. Sie sind deshalb viel mehr als Bürgerrechte. Und sie sind unveräußerlich.“ Kerstin Witte-Petit (RHEINPFALZ 10.12.2018). Die Journalistin hält fest, dass in mehr als 50 Staaten unserer Erde die Menschenrechte mit Füßen getreten, bindende Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte offen missachtet werden, Populisten „Wir zuerst“ rufen statt „Der Mensch zuerst“. Diese Bestandsaufnahme ist erschütternd und erfüllt uns mit Sorge. Witte-Petits Fazit: „Noch hat die Idee der Menschenrechte eine große Strahlkraft. Es ist schlicht das beste Ideal, das der Menschheit je eingefallen ist. Aber dieses Ideal ist nur stark, wenn wir es hochhalten. Und es immer und immer wieder verteidigen.“ Hoffen wir, dass dies gelingen möge! Dafür wollen wir werben und uns engagieren; dazu fühlen wir uns verpflichtet. Doch ist dabei Widerstand zu überwinden. Dazu wenige Bemerkungen:.

Der Anspruch „Wir zuerst“ zersetzt nicht nur eine Kultur der Solidarität, sondern pocht auch auf das Recht des Stärkeren. Etliche Potentaten halten sich je nach Belieben nicht mehr an Verträge und eingegangene Verpflichtungen, lassen den Respekt vor Recht, vor Gerichten oder gar vor der Souveränität von Staaten vermissen. Sie verfolgen ihre Ziele lieber mit Hilfe von Propaganda, Einschüchterung und Anwendung von Sanktionen und Gewalt. Viele empfinden dies als bedrohlich. Ängste und Sorgen erwecken bei den Menschen auch die Auswirkungen des Klimawandels und die diesbezüglichen Vorhersagen der Wissenschaft. Doch Verzweiflung und Resignation sind keine Lösung. Bleibt zu hoffen, dass in der Welt die Vernunft siegt und bei jedem Einzelnen die Erkenntnis dessen wächst, was im Interesse von Mensch und Welt zu tun ist. Mut, Phantasie und der Respekt gegenüber jeder Kreatur sind bei unserem Handeln gefragt. Als Einzelne können wir die Welt nicht im Ganzen ändern, aber wir können dazu beitragen, Ungerechtigkeit und Benachteiligung aus unserem Leben zu verbannen. Wir können dazu beitragen, dass die Welt in unserer Nähe besser und humaner wird. Es gilt, den Menschen und seine Würde ins Zentrum des Denkens und Handelns zu rücken.

Exemplarisch geschieht dies an Weihnachten, wenn alle, die dieses Fest feiern, sich dem Kind im Stall von Bethlehem zuwenden wie einst die Hirten, die Engel und die Weisen aus dem Morgenlande – alle Welt: Würde ist auch am Rande der Gesellschaft nicht verlierbar! Im christlichen Glauben ist dieses Kind der Erlöser der Welt. Die Ehrerbietung und Wertschätzung des Kindes im Stall von Bethlehem ist auch ein Appell an uns: Vernachlässigt nicht die Würde der Ausgegrenzten, sucht sie auf und wendet euch ihnen zu, schenkt ihnen eure Aufmerksamkeit, Liebe und Unterstützung! Denn wer sind wir, wenn wir sie aus unserer Gemeinschaft ausschließen? Mit der Feier der Geburt Jesu dürfen wir die immer wieder tröstlichen Zusagen aus dem Alten Testament in Erinnerung rufen: „Ich will Euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jer 29,11) „Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich erlöst; ich habe Dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein“ (Jes 43,1). (Vgl. die Vertonung https://www.youtube.com/watch?v=8ZTktGJgEGU von Johann Christoph Bach). Wenn das tiefe Vertrauen, das J.C. Bach musikalisch zum Ausdruck bringt, und die tröstliche Botschaft der Texte uns direkt ansprechen, erfahren wir einen Hauch von Erlösung. Innere Ruhe hält Einzug. Wir wissen uns geborgen, können voll Vertrauen und Hoffnung mutig emporschauend und mit Zuversicht – wie die SPES – getrost in die Zukunft blicken, gelassen erwarten, was da kommen mag. Die Hoffnung wird auch uns beflügeln, uns Flügel verleihen. Sie wird zur Quelle übergroßer Freude für uns und andere, sie verleiht Kraft und Mut für solidarisches, fürsorgliches Leben.

Konrad Schillinger