Zum Inhalt springen

Karfreitag

Quelle: piqsels.com

Was verbindet man heutzutage mit dem Symbol des Kreuzes? Dient es zumeist nicht nur noch als ein hübsches Schmuckstück, dass man sich in Gold, Silber oder auch aus Holz um den Hals hängt? Immer wieder sehe ich Menschen, die ein solches Schmuckstück tragen – in allen Größen und Variationen. Doch ist ihnen der tiefere Sinn dieses Symbols überhaupt noch bewusst oder dient es einzig und allein modischen Zwecken?

Ich fürchte, nur noch wenige Menschen – darunter auch viele, die gemäß der Taufbücher Christen sind – kennen die Geschichte unsagbaren Leides, die mit dem Kreuz verbunden ist. Die Kreuzigung war in der Antike die Hinrichtungsmethode, die letztlich zwei Ziele vor Augen hatte: die Verlängerung der Qualen des Verurteilten und die Abschreckung. In der Regel wurde der Verurteilte im Vorfeld auf grausamste Weise gegeißelt und schließlich mit riesigen Nägeln an Händen und Füßen durchbohrt und an die Holzbalken genagelt, wobei er – nach der Geißelung selbst völlig geschunden – den Querbalken bis zum Ort der Kreuzigung zu tragen hatte, wo er nach mehrstündigem oder gar -tätigem Todeskampf an seinem eigenen Gewicht elendig und qualvoll erstickte.

Fast umso erschreckender ist jedoch die Tatsache, dass die Kreuzigung Jesu und die unvorstellbaren Qualen, die er für uns zu erdulden hatte, mehr und mehr verharmlost werden. So wird die Kreuzigungsszene in vielen Filmen und auch auf vielen Bildern so beiläufig und geradezu gewaltfrei dargestellt, dass man beinahe meinen könnte, der Tod am Kreuz sei eine angenehme Art zu sterben gewesen.

Es geht an dieser Stelle freilich nicht darum zu propagieren, die Kreuzigung brutaler und blutiger darzustellen als vielmehr davor zu warnen, nicht die Augen vor Grausamkeit und Gewalt und damit letztlich vor der Wahrheit selbst zu verschließen. Gott selbst hat sich in seinem Sohn, Jesus von Nazareth, leidensfähig gemacht und sich damit in die tiefsten Tiefen der Menschlichkeit hineinbegeben – bis in Ohnmacht und Tod. Und er hat dabei nicht davor zurückgeschreckt, gegeißelt und geschunden am Kreuz für uns sein Leben hinzugeben. Gerade auch vor dem Hintergrund dieser Todesart müssen wir uns alle unweigerlich wiederholt die Frage stellen: Wie sehr muss dieser Gott uns doch lieben, dass er sein Leben für uns hingab – und zwar auf diese Weise?

Auf die Verharmlosung des Kreuzestodes folgt die Verharmlosung der Gewalt in unserer heutigen Zeit. Wie oft schauen wir einfach weg, wenn uns Bilder von Terror und Gewalt begegnen? Und noch viel schlimmer – wie oft herrscht dabei unter uns blanke Gleichgültigkeit? Die Gewaltbereitschaft steigt beinahe täglich und gleichsam scheint Gewalt keine Grenzen mehr zu kennen.

Bleibt die Welt durch die Gleichgültigkeit guter Menschen nicht beim Kreuzestod einfach stehen? Wie fatal wäre es, wenn wir die Auferstehung nicht mehr im Blick haben? Durch eben jene Auferstehung hat Jesus letztlich die Dunkelheit und den Tod besiegt. Und damit ist es unsere unbedingte und bleibende Aufgabe, unsere Augen offen zu halten, die Wahrheit nicht aus dem Blick zu verlieren und auf Gewalt und Terror in dieser Welt eine Antwort zu geben. Konkret heißt dies, die Botschaft des Auferstandenen zu verkünden und die Liebe zu leben: die Liebe, die stärker ist als der Tod.

Michael Gutting